»Ja, kommt sofort.« Ich eile in die Küche und hole die nächste Käsesahnetorte aus der Kühltheke. Wo bleibt nur Berrit? Gerade heute, wo ich einen wichtigen Termin bei meinem Anwalt habe, ist so viel los und Berrit fehlt. Ich schaue auf die Uhr, noch zwanzig Minuten bis zu ihrem Dienstbeginn. Normalerweise ist sie immer früher da. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, der Sommer gibt dieses Jahr wirklich alles. Die Temperaturen liegen seit Tagen bei dreißig Grad und sollen diese noch überschreiten. Nachdem ich die Käsesahne angeschnitten habe, stelle ich sie zurück in die Kühltheke. Ich serviere das bestellte Stück draußen am Tisch vier und bemerke, dass ein neuer Gast gekommen ist. Sofort gehe ich zu ihm.
»Hallo, was kann ich Ihnen bringen?«
»Einen Cappuccino«, sagt er mürrisch. Er scheint ganz schön schlechte Laune zu haben.
»Sehr gern, wenn Sie auch Kuchen möchten, können Sie sich drinnen einen aussuchen.« Ein bisschen Zucker wird ihm nicht schaden, denke ich. Er schaut mich eindringlich an, mir kommt vor, als ob er noch etwas sagen möchte, bleibt aber stumm. Er zieht seine Sonnenbrille auf und ignoriert mich. Was für ein seltsamer Typ, denke ich, während ich mich an den anderen Tischen umsehe.
Drinnen höre ich die Stimme von Berrit. Gott sei Dank, sie ist da. Sie bindet sich die Schürze um und wischt die Krümmel von der Arbeitsplatte, die ich dort hinterlassen habe. Ich muss lächeln. Vor ein paar Wochen hat ein Zufall sie in mein Café getrieben und jetzt arbeitet sie hier. Ein Glücksgriff für mich. Sie ist pünktlich, kann gut mit den Gästen und hat in der Zeit, in der ich mir die Hand verletzt hatte, den Laden geschmissen. Seit einer Woche ist die Schiene weg und ich muss nur noch zur Krankengymnastik. Meine Hand ist wieder voll einsatzfähig.
»Tisch zwei möchte bezahlen«, sagt sie und lächelt mich an. Ihre unkomplizierte Art fasziniert mich. Ich sage ihr die Bestellung von dem Herrn draußen und gehe zu Tisch zwei. Es ist mein Nachbar, der mehrmals in der Woche hier einen Kaffee trinkt. Obwohl sein graues Haar und die Falten um seine Augen sein Alter verraten, mindern sie nicht seinen Charme. Wieder hat er eine jüngere Frau an seiner Seite, die ihn anhimmelt. Sie mag maximal Mitte zwanzig sein.
»Na Jürgen, wollt ihr schon gehen?«
»Ja leider, ich möchte Justine noch unsere Stadt zeigen, vielleicht kommen wir am Wochenende noch einmal vorbei«, sagt er und drückt ihr einen Kuss auf die Schläfe.
»Du bleibst also länger in der Stadt?«, wende ich mich an Justine.
»Bis Sonntagabend, dann muss ich bedauerlicherweise wieder nach Hause«, säuselt sie in Jürgens Richtung. Er drückt ihre Hand, die auf ihren nackten Beinen liegt. Die Shorts der jungen Frau sind verdammt knapp.
»Aber das muss natürlich nicht das letzte Mal gewesen sein!«, sagt der unverbesserliche Charmeur.
Ich kassiere die beiden ab und lasse dann das junge Glück allein. Grinsend gehe ich zu Berrit hinter die Theke, die auch versucht, sich zusammenzureißen. Obwohl sie erst seit kurzer Zeit hier arbeitet, hat sie unseren Jürgen bestimmt mit vier verschiedenen Frauen im gleichen Alter, Kaffee und Kuchen serviert.
»Musst du nicht weg?«, fragt Berrit mich, mit dem Blick auf die Uhr.
»Ich bringe noch den Cappuccino raus, dann haue ich ab.«
»Das kann ich doch machen«, sagt sie und stellt die Tasse auf das Tablett.
»So viel Zeit habe ich noch«, entgegne ich ihr und bemerke, dass sich jemand der Theke nähert. Ich drehe mich um und schaue in das mürrische Gesicht des Mannes, der auf seinen Cappuccino wartet.
»Möchten Sie doch ein Stück Kuchen?«, frage ich freundlich. Das scheint nicht der Fall zu sein, denn er starrt Berrit an. Sie starrt zurück, die rosige Farbe ihres Gesichtes, die sie durch ihre Sommersprossen hat, verliert ihren Glanz.
»Was willst du hier?«, zischt sie durch ihre zusammengepressten Zähne.
»Mit dir reden!«
Sie hält seinem Blick stand. Seine Augen funkeln aggressiv und sein Körper ist angespannt. Ich kenne ihn nicht, denke aber, dass er ein sehr ungemütlicher Zeitgenosse ist. Schützend stelle ich mich vor meine Angestellte.
»Verlassen Sie bitte mein Café!«, sage ich deutlich, aber nicht zu laut, um die Aufmerksamkeit der anderen Gäste nicht auf uns zu lenken.
»Ich will mit dir reden!«, sagt er, immer noch die Augen auf Berrit gerichtet.
»Es gibt nichts zu reden«, sagt sie mit leicht zitternder Stimme. Ich bewundere ihr Selbstbewusstsein, das sie ihm trotz seiner angsteinflößenden Art entgegenstreckt. Selbst in mir löst der Typ ein Unbehagen aus. Er kommt einen Schritt näher und legt eine Hand auf die Theke. Alle Alarmglocken in mir schrillen und ich ziehe Berrit ein Stück hinter mich.
»Haben Sie nicht gehört, Sie sollen meinen Laden verlassen«, knurre ich ihn an und spüre, wie die Wut in mir hochsteigt.
»Hast du jetzt einen Aufpasser engagiert?« Aus seinem starren Blick wird ein höhnisches Lachen. Ich spüre, wie Berrit hinter mir zusammenzuckt.
»Geh in die Küche«, sage ich zu ihr. Ich habe die Hoffnung, wenn sie aus dem Blickfeld dieses Irren geht, er sich mit mir auseinandersetzten muss. Sie schüttelt den Kopf und möchte etwas sagen, da schiebe ich sie einfach Richtung Küchentür. Ich berühre sie kurz an der Schulter und erschrecke, dass ihr Körper so stark zittert, ohne dass man es wahrnimmt. Eine Sekunde hält sie meinem Druck stand, gibt aber dann nach. In dem Moment erinnert sie mich an meine kleine Schwester und weckt auch genau diesen Beschützerinstinkt in mir. Ich schließe die Tür und wende mich wieder an diesen Psychopathen. Ich gehe um die Theke herum.
»So, wir verlassen jetzt das Café und lassen uns hier nicht mehr blicken.« Verständlich remple ich ihn an und zwinge ihn, mit mir Richtung Ausgang zu gehen. Etwas überrumpelt geht er vor mir her.
»Ich werde wieder kommen«, droht er leise.
Ich begleite ihn noch ein Stück um die Ecke, dass meine Gäste nichts mitbekommen, und schnappe mir den Kragen von ihm.
»Versuch es, Freundchen. Du hältst dich von meinem Café und meinen Angestellten fern. Sollte ich dich noch einmal hier in der Nähe sehen, rufe ich die Polizei. Sollte Berrit mir erzählen, dass sie das Gefühl hat, dass du ihr hinterherschleichst, dann Gnade dir Gott. Haben wir uns verstanden?«
Er nickt. Beim Loslassen schubse ich ihn nach hinten. Ich muss mich sehr beherrschen, ihm nicht noch ein Veilchen mit auf dem Weg zu geben.
Er stolpert, fängt sich aber auf. Verwirrt schaut er mich an und ich sehe trotz seines irren Blickes die Wut in seinen Augen. Ich hoffe, ich habe hier keinen Fehler gemacht und sozusagen schlafende Hunde geweckt. Ich muss unbedingt mit Berrit reden, was dieser Typ von ihr will.
Als ich wieder ins Café komme, bedient Berrit gerade Gäste, man merkt ihr kaum etwas an, lediglich ihr Lächeln ist nicht echt. Ich bin erstaunt über ihre Stärke. Ich könnte gut verstehen, wenn sie lieber nach Hause gehen möchte oder sich verkriechen würde. In diesem Moment wird mir klar, dass ich eigentlich nichts über ihr Privatleben weiß. War das vielleicht ihr Ex-Freund oder sogar ihr aktueller Freund?
Ich habe einen Termin und müsste auch längst weg sein. Wie mache ich das bloß? Ich will sie jetzt nicht allein lassen. Fragend schaut sie mich an, als ich an ihr vorbeigehe. In ihren Augen spiegelt sich Angst und Unsicherheit wider. Ich lächle kurz, wenn man es so nennen kann und ziehe die Mundwinkel nach oben, um ihr zu zeigen, dass sie keine Bedenken meinerseits haben muss.
Ich gehe in die Küche und wasche mein Gesicht, das kalte Wasser tut gut und beruhigt mich langsam. Ich stütze beide Arme auf dem Waschbecken ab und schaue in den Spiegel. Hinter mir taucht Berrit auf, unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Kurz schaut sie mich an, dann senkt sie ihren Kopf.
»Entschuldigung«, höre ich sie leise murmeln, greife nach dem Handtuch und drehe mich zu ihr um. Langsam trockne ich meine Hände ab, auf meinem erhitzten Gesicht habe ich das Gefühl, dass schon alles Wasser verdunstet ist.
»Du musst dich nicht entschuldigen!«, sage ich etwas lauter, als ich eigentlich will. »Was war das für einer?« Sie schaut mich bisher nicht an. Ich sehe, wie sie schwer schlucken muss. Ihre sonst so schöne strahlende Haut, die von Sommersprossen übersät ist, wirkt fahl. Ihre Sommersprossen haben ihre Leuchtkraft verloren.
Ich gehe einen Schritt auf sie zu. »Berrit, wer war das?« Ich strecke meinen Arm aus, um meine Hand auf ihre Schulter zu legen. Ich möchte ihr signalisieren, dass ich für sie da bin. Sie weicht nicht zurück. Ich spüre, wie aufgewühlt sie ist und würde sie gerne in den Arm nehmen, bin mir aber nicht sicher, ob es jetzt das Richtige ist.
Berrit ist meine Angestellte, ich habe mich vom ersten Augenblick ein kleines bisschen in sie verliebt. An manchen Tagen glaube ich, dass sie genauso empfindet wie ich. An anderen Tagen denke ich, dass sie nicht mehr als Freundschaft mit mir möchte. Durch ihre widersprüchlichen Signale habe ich mich in den vergangenen Wochen zurückgenommen.
Berrit kämpft mit den Tränen, es zerreißt mir das Herz, sie so zu sehen.
Ich muss sie einfach umarmen, möchte ihr Halt geben und ziehe sie langsam in meine Arme. Froh darüber, dass sie es zulässt, drücke ich sie fest an mich. Ihren warmen Körper zu spüren, löst stärkere Gefühle in mir aus, als es sollte. Ich vergrabe mein Gesicht in ihren langen Haaren und atme ihren unverwechselbaren Duft ein. »Berrit, bitte rede mit mir!«, flehe ich sie an. Sie löst sich von mir, was mir in diesem Moment ganz und gar nicht gefällt.
»Das ist meine Vergangenheit!«, sagt sie und wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Dein Ex?«
Sie schüttelt den Kopf. »Meine Kindheit«, sagt sie und schaut mir tief in die Augen. Ich muss wahrscheinlich sehr dumm ausschauen, weil ihre Mundwinkel leicht nach oben zucken.
»Er ist mein Bruder.« Wieder zittert ihre Stimme leicht. Mein Gesichtsausdruck wechselt von blöd zu erschrocken. Ich bin mir nicht sicher, was eine bessere Nachricht wäre, Ex oder Bruder?
»Ihr seid richtige Geschwister?«, frage ich ungläubig nach. Sie nickt.
Es klopft jemand an der Küchentür, die nur angelehnt ist. Ich gehe an Berrit vorbei, um zu schauen, wer es ist.
»Alles klar bei euch?« Mein Freund Jonas steht im Türrahmen und schaut uns forschend an. Typischer Polizisten Ausdruck.
»Ja klar, alles in Ordnung«, beantworte ich seine Frage und wende meinen Blick zu Berrit. Sie versucht zu lächeln, was ihr aber misslingt. Jonas schaut zwischen uns hin und her. »Vielleicht sollte sich jemand um die Gäste kümmern«, sagt er und zeigt mit seinem Daumen über seine Schulter.
»Ich mache das schon!« Schnell huscht Berrit an uns vorbei. Jonas’ forschender Blick hängt an mir.
»Wirklich alles klar bei euch?«, fragt er noch einmal nach und ich sehe die Skepsis in seinen Augen. Ich nicke. »Sieht aber nicht danach aus«, bohrt er nach. Jonas’ Nachhaken macht mich sauer.
»Ja verdammt, wenn ich sage, es ist okay, dann ist es auch so!«, blaffe ich ihn an. Er hebt die Hände, um sich zu entschuldigen.
»Warum bist du hier? Um Cop zu spielen?«, frage ich ihn und weiß im selben Moment, dass es nicht fair ist. Jonas ist mein bester Freund und mit Leib und Seele Polizist. Ich möchte ihm aber noch nichts von Berrit´s Bruder erzählen, dafür muss ich erst mit ihr darüber reden, was hier eben vorgefallen ist.
»Ich wollte dich eigentlich fragen, wie es bei deinem Termin gelaufen ist.«
Scheiße, mein Termin. Den habe ich ganz vergessen. Ich schaue auf die Uhr. Pünktlich schaffe ich es auf keinen Fall, bin aber nicht so spät, um den Termin platzen zu lassen. Dafür ist er mir zu wichtig. Ich schnappe mir meinen Autoschlüssel vom Haken an der Tür.
»Kannst du bitte so lange bleiben, bis ich zurück bin? Hatte eben einen unbequemen Gast.« Ich denke, dass ich damit nicht zu viel verrate.
»Ja klar, kein Problem«, sagt Jonas. Ich schlage ihm kurz auf die Schulter und verlasse mein Café.
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