Minou und der besoffene Weihnachtsmann
Eine turbulente Weihnachtsgeschichte
„Das kannst du nicht machen, in ein paar Tagen ist Weihnachten!“
Ich schaue meine Freundin mit weit aufgerissenen Augen an. Sie möchte mich hinausschmeißen, obwohl das Fest der Liebe vor der Tür steht. Ja, ich weiß, das Zimmer, in dem meine Katze Minou und ich wohnen, war als Übergangslösung gedacht, aber trotzdem haben wir in den vergangenen Monaten gut als WG zusammengelebt. „Was soll ich denn machen?“ Sie schüttelt den Kopf und massiert sich die Nasenwurzel. Dann schaut sie mir direkt in die Augen. „Du!“ Ihr Zeigefinger ist auf mich gerichtet. „Du hast mit dem Verlobten meiner Schwester geschlafen! Mit meinem fast Schwager!“ Ihre schrille Stimme hallt in dem Flur. „Ich habe doch nicht gewusst, wer er ist. Er hat mir auch nicht erzählt, dass er verlobt ist.“ Zum hundertsten Mal versuche ich zu erklären, dass ich keine Schuld an dem Dilemma habe. „Kannst du dir vorstellen, wie sich meine Schwester fühlt?“, speit sie mir entgegen. Ich nicke, ja, das kann ich und sie tut mir auch leid. Am liebsten würde ich Tabea sagen, dass sie es vor der Hochzeit erfahren hat, was für ein Arsch ihr Verlobter ist. Aber dann sitze ich wahrscheinlich in den nächsten fünf Minuten auf der Straße und müsste bei Minusgraden im Auto schlafen. „Ich gebe dir zwei Tage, dann bist du weg und bete dafür, dass meine Schwester nicht herausbekommt, was ich für ein guter Mensch bin.“ Sie dreht sich herum und geht in die Küche. Ich bleibe im Flur stehen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich viel zu schnell, mein Herz rast und in meinen Kopf macht sich dichter Nebel breit, der mich daran hindert, einen klaren Gedanken zu finden. „Kann ich nicht jedenfalls bis Januar bleiben?“, bettle ich so laut, dass Tabea es durch das Rattern des Kaffeeautomaten hören kann. Sie stellt sich in den Türrahmen und stemmt die Hände in die Hüfte. „Du denkst wirklich, ich lasse meine Schwester im Stich? Sie verlässt dieses Arschloch und zieht zu mir, und deshalb, liebe Mia, musst du gehen!“ Ich spüre, dass es nichts mehr bringt. Hier zerbricht nicht nur eine tolle Wohngemeinschaft, es hätte zwischen Tabea und mir auch eine Freundschaft werden können. Ich kann es ihr aber auch nicht verdenken, dass sie zu ihrer Schwester hält. „Du kannst natürlich zu ihm gehen. Er hat doch jetzt Platz.“ Ihre Worte triefen vor Ironie und geben mir einen zusätzlichen Stich ins Herz. Ich trauere nicht seinetwegen, er war ein Abenteuer, eine einmalige Sache, die ich teuer bezahlen muss. Es ist wegen Tabea. Wir kennen uns noch nicht lange, aber ich dachte, sie wäre … meine Freundin. Ich drehe mich herum und öffne vorsichtig meine Zimmertür, sodass Minou mir nicht entweichen kann. Auf keinen Fall möchte ich jetzt eine Diskussion über Katzen auf dem Sofa lostreten. „Du hast alles gehört“, sage ich zu meiner Katze, die mir sofort um die Beine schleicht. Sie möchte mich trösten und spürt, dass etwas nicht stimmt. Ich setze mich auf mein Bett und hebe sie mit beiden Händen auf meinen Schoß. Sie stößt mit ihrem Kopf an mein Kinn. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem grau getigerten Fell. „Wir schaffen das schon“, flüstere ich in ihr Ohr und genieße ihr beruhigendes Schnurren. Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich mit Minou in dieser unbequemen Haltung sitze, bis mich das heftige Klopfen an meiner Tür hochschrecken lässt. Minou springt fauchend auf und versteckt sich unter dem Sessel. „Was ist?“, frage ich, ohne aufzustehen. Es kann nur Tabea sein und viel haben wir uns ja jetzt nicht mehr zu sagen. Sie öffnet die Tür und hält mir eine Zeitung entgegen. In ihrem Blick schimmert nicht mehr so viel Wut, eher Enttäuschung. „Ich habe dir ein paar Annoncen markiert“, sagt sie und hört sich versöhnlich an. „Und zwei Adressen habe ich dir hier aufgeschrieben.“ Sie deutet auf einen Zettel, den sie in die Zeitung gesteckt hat. „Ich habe im Internet gelesen, dass dort auch Wohnungen frei sind …, vielleicht hast du ja Glück.“ Ich stehe auf und nehme ihr die Zeitung aus der Hand. „Danke“, sage ich und weiß, dass es für diese nette Geste eigentlich zu wenig ist. Minou kommt, nachdem sie geprüft hat, dass nichts Schlimmes passiert ist, unter dem Sessel hervor und setzt sich vor Tabea. Sie fordert ihre Streicheleinheit ein, ohne aufdringlich zu sein. Meine ‚vielleicht doch noch Freundin‘ geht in die Knie und streichelt über Minous Kopf, die es sichtlich genießt. „Dir wünsche ich natürlich auch viel Glück“, sagt sie und benutzt dabei ihre ‘ach wie süß‘ Stimme. „Nochmal danke“, sage ich und drehe mich um, bevor ich wieder das Bedürfnis habe, mich zu erklären oder zu entschuldigen. Langsam erhebt sich Tabea aus ihrer Hocke. „Mia, ich weiß, dass dich eigentlich keine Schuld trifft, aber tu mir bitte den Gefallen und mach keinen Stress. Meine Schwester wird in zwei Tagen hier sein und sie denkt, dass ich dich direkt hinausgeworfen habe.“ „Bis dahin werde ich weg sein“, verspreche ich ihr und unterdrücke eine riesengroße Verzweiflung, die sich in mir breit macht.